Zwanghaftes Skin Picking


Menschen, die an dieser Zwangserkrankung leiden, hören oft: Lass doch mal das Knibbeln sein! Doch genau das können die Patienten nicht
 
Es muss sein. Die Unreinheit auf der Stirn. Die lässt sich sicher ausquetschen. Es klappt nicht beim ersten Mal. Also noch ein bisschen fester drücken. Die nächste Stelle wartet schon. Und so geht es weiter. Stunde um Stunde. Manchmal müssen Pinzetten und Nadeln herhalten, um all den Schmutz aus der Haut zu pulen. Am Ende bleibt ein malträtiertes Gesicht übrig. Rot und geschwollen. Skin Picker wissen, wie sich das anfühlt.
Skin Picking, auch als Dermatillo­manie bekannt, zählt zu den Zwangserkrankungen. Die Betroffenen können nicht anders, sie müssen ihrem Drang nachgeben, die Haut zu bearbeiten, obwohl es ihnen und ihrer Haut hinterher schlechter geht als vorher. Das Phänomen ist nicht neu – auch wenn es im aktuellen Diagnosehandbuch DSM-5 für Psychiater zum ersten Mal als eigenständige Krankheit geführt wird.
Oft entsteht Skin Picking in der Pubertät. In einer Lebensphase, in der einem das Aussehen besonders wichtig ist. So wichtig, dass es den Selbstwert maßgeblich mitbestimmt. Und wer gut aussieht, hat auf jeden Fall reine, glatte und makellose Haut. Für Pubertierende häufig ein Problem, weil in der Zeit der hormonellen Umstellung bei vielen ­die Pickel nun einmal dazugehören.
Nach dem Quetschen sinkt das Selbstwertgefühl erst recht. Manchmal versuchen die Pa­tienten, ihre Wunden, Entzündungen und Narben mit Make-up zu vertuschen. Zu viele Kosmetika begünstigen aber wieder, dass Unreinheiten entstehen. Das Ganze geht von vorne los.
Was können Skin Picker tun?
Der Leidensdruck ist groß. Zum Teil bearbeiten Betroffene ihre Haut über Jahre und Jahrzehnte – nicht nur im Gesicht, sondern an allen Körperstellen, an die man einigermaßen gut hinkommt. Also zum Beispiel auch Dekolleté, Arme, Schultern, Beine, Füße. Oder die Nagelhaut an den Fingern.
Hinzu kommt, dass Skin Picker häufig lange Zeit gar nicht wissen, dass sie an einer psychischen Störung leiden und eine Therapie benötigen würden. Die Krankheit ist längst nicht so bekannt wie etwa Depressionen.
Doch Betroffene können etwas tun. Als ersten Schritt etwa den Spiegel verhängen. So eine Maßnahme soll zum Teil automatisch ablaufendes Verhalten verändern. Zusätzlich hilft, sich alternative Beschäftigungen für die Hände zu suchen. Babyspielzeug, Igelbälle oder Knetsäckchen können ablenken. Oder man setzt sich auf die Hände. Etwa vor dem Fernseher, wenn die Finger normalerweise die Haut abtasten und mit dem Knibbeln beginnen würden.
Fachleute nennen das "Habit-Reversal-Technik", Verhaltensumkehr. Das allein wird aber in den meisten Fällen nicht reichen. Zusätzlich muss man in einer Therapie herausfinden, was hinter den Selbstverletzungen steckt. Warum mache ich das? Wie wichtig ist mir mein Aussehen? Warum ist es mir so wichtig? Warum glaube ich, dass andere mich nur schätzen, wenn ich schön bin? Was ist sonst noch liebenswert an mir? Patienten merken, dass viele unbewusst festgeschriebene Über­zeugungen ihr Verhalten steuern.
Solche Überzeugungen bestehen aber vor allem im Kopf und müssen gar nicht dem entsprechen, was andere wirklich über einen denken. Denn wahrscheinlich wird man sehr wohl gemocht, etwa weil man lustig, zuverlässig, warmherzig oder inspirierend ist. Vielleicht hilft dieses Wissen, wenn der Drang zu quetschen wieder mal übermächtig werden will. Und statt sich ins Gesicht zu greifen, nimmt man das Handy in die Hand und verabredet sich mit Freunden. Sich so abzulenken hilft auch.

 
17.08.2016, Bildnachweis: istock/simarik

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